Mittlerweile haben fünf Nationen der Eurozone im Zuge der Krise eine Regierungsumbildung erfahren. Dramatisch ist daran vor allem der Fakt, dass in mindestens zwei Fällen direkte Einflussnahme von außen auf sogenannte souveräne Länder offensichtlich ist – gemeint sind Griechenland und Italien, neben Island, Portugal und Spanien.
Die Bedeutung der zu erwartenden Einschnitte in der Mitbestimmung wird daran deutlich, dass die unterschiedlichsten politischen Lager auf diese Situation gleichermaßen alarmiert reagieren, jedenfalls solange sie ein funktionierendes Gemeinwesen als wesentlich erachten.
Einige kommen hier im folgenden in nichtrepräsentativer Auswahl zu Wort, darunter die griechische Publizistin und Ökonomin Nadia Valavani, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der ehemalige Schatzminister der Reagan Administration Paul Craig Roberts.
Nach Informationen im Artikel »Weniger Demokratie wagen« von Tomasz Konicz, beschreiben Handelsblatt und BusinessWeek den »enormen Einfluss« von EZB und Deutscher Bundesregierung auf den »stillen Putsch« in mehreren Ländern der Eurozone und die dortige undemokratische Einsetzung technokratischer ›Expertenregierungen‹ aus EU- und Finanzmarktkreisen.
Die Financial Times Deutschland mahnt in ihrem Leitartikel dagegen offen zu »weniger Demokratie und mehr Reformen«.
Zitat Konicz: »Im Endeffekt unterwirft sich die Gesellschaft so einer Diktatur des Sachzwanges, der aus dieser mörderischen Krisenkonkurrenz resultiert: es geht darum, möglichst billig, mit größtmöglicher Produktivität zu produzieren, um andere Wettbewerber – andere Standorte wie Volkswirtschaften – in dem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb auszuschalten. Hierbei werden auch Bildung, Kultur, Medien oder Öffentlichkeit gnadenlos »ökonomisiert«, wodurch die Räume demokratischer Willensbildung und Reflexion erodieren. Diese Diktatur des Sachzwangs kann exemplarisch an den Hartz-IV-Arbeitsgesetzen nachvollzogen werden, die Zwangsarbeit in der bundesrepublikanischen Demokratie einführten und erschöpfend mit dem Sachzwangsdiskurs legitimiert wurden. […]«
Und weiter: »Das Kapitalverhältnis – das über uns herrscht, obwohl wir es selber alltäglich buchstäblich erarbeiten – ist ein selbstbezüglicher, blinder Prozess, der nur die höchstmögliche und sicherste Verwertung zur einzigen Maxime hat. Es ist blind für die gesellschaftlichen Folgen seiner uferlosen Selbstvermehrung. Die Menschen müssen sich dieser Gegebenheit, diesem Sachzwang anpassen, um in dieser Gesellschaft zu überleben. Genau dies aber lässt Demokratie in ein Spannungsverhältnis zum Kapitalismus treten, und letztendlich zur Illusion verkommen. Dieser Selbstwiderspruch der kapitalistischen Demokratie lässt auch das totalitäre Potenzial in unserer Gesellschaft fortbestehen.«
Unter dem Titel »Gegen die Diktatur der Finanzmärkte« stellt die griechische Publizistin und Ökonomin Nadia Valavani fest:
»Der Chef der neuen griechischen Regierung […] ist ein internationaler Bankier aus den ersten Reihen der Finanzkapitalistischen Internationale, bis vor kurzem Einwohner des Bankenviertels hier in Frankfurt. […]
Unser Volk verliert alles wegen nichts – denn auf dem geplanten Weg werden die griechischen Schulden im Jahre 2020 auf dem Stand von 2009 sein – also so hoch wie zu Beginn dieses Abenteuers.
Das wirkliche Ziel ist aber ein anderes: Der Ausnahmefall Griechenland soll die Regel für alle europäischen Länder werden. Das Finanzkapital ist dabei, einen neuen Typus der Kapitalakkumulation zu entwickeln, der sogar am Boden des Fasses kratzt. Die vielschichtige systemische Krise zeigt auf die eindrucksvollste Weise, dass die Ökonomien der entwickelten kapitalistischen Länder nicht mehr überleben können, ohne dafür das Einkommen, die Arbeitsbedingungen und den Lebensstandard ihrer Völker stark einzuschränken.
Als die Bankiers das Schuldennetz über die Länder und die Völker warfen, wussten sie sehr genau, wer ihr nächstes Opfer sein würde: die Demokratie. Wie Thukydides in der Grabrede von Perikles schrieb: “…und diese Regierungsform heißt, weil sie nicht auf die Vorteile der wenigen, sondern der vielen zielt, Demokratie…” […]
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor dem Europäischen Bankenkongress in Frankfurt die Einführung einer europäischen Fiskalunion[1] binnen 24 Monaten in Aussicht gestellt, was praktisch einer Preisgabe der Budgethoheit, als dem vornehmsten und wichtigstem aller Rechte eines Staates, gleichkäme. Das würde bedeuten, alle Mitgliedsländer dieser Steuerunion verlören faktisch ihre Souveränität.
Dazu steht auch der für 2013 geplante Europäische Stabilitäts Mechanismus (ESM) in der Kritik[2], da die Ausführenden Behörden, Ihre Mitarbeiter und Unterlagen absolute rechtliche Immunität geniessen sollen, also gerichtlich nicht anklagbar wären. Gleichzeitig aber kann das ESM-Institut monetäre Nachforderungen an die Mitgliedsländer stellen, denen diese bedingungslos nachkommen müssen, als auch diese gerichtlich belangen. Damit entstünde eine Superbehörde die unangreifbar ist und ggfs. keiner Rechtfertigung unterliegt.
Der ehemalige Schatzminister der Reagan Administration Paul Craig Roberts macht in seinem Text »Die Reichen bewahren und die Wirtschaft verlieren«
zur Situation in Europa und Griechenland folgende Einschätzung:
»Wie in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde auch in Europa schnell die Bewahrung der privaten Banken vor Verlusten zur treibenden Kraft der Wirtschaftspolitik. Mit der sozialistischen Regierung Griechenlands wurde ein Handel abgeschlossen, der den Interessen der Banken entsprach und nicht denen der Menschen in Griechenland. Die Europäische Zentralbank (EZB) würde gegen ihre Statuten verstoßen und gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der damit ebenfalls gegen seine Statuten verstieß, der griechischen Regierung genügend Geld leihen, damit diese ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber den privaten Banken nachkommen konnte, die ihre Staatsanleihen gekauft hatten. Als Gegenleistung für die Darlehen von EZB und IWF, und um das Geld zusammenzubekommen, um diese zurück zu zahlen, musste die griechische Regierung zustimmen, an private Investoren die nationale Lotterie, Griechenlands Häfen und städtische Wassersysteme, eine Kette von Inseln, die ein geschütztes Gebiet bilden, zu verkaufen, und zusätzlich den Menschen in Griechenland ein brutales Sparprogramm zu verpassen, mit Lohnsenkungen, Kürzung von Sozialleistungen und Pensionen, Steuererhöhungen und Kündigung von Staatsangestellten.
In anderen Worten – die griechische Bevölkerung soll einer Handvoll ausländischer Banken in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden geopfert werden.
Im Gegensatz zu »ihrer« sozialistischen Regierung betrachteten die Griechen das nicht als einen guten Handel. Sie waren seither immer auf der Straße.
Der Chef der EZB Jean-Claude Trichet sagte, dass die Griechenland auferlegten Sparmaßnahmen ein erster Schritt sind. Wenn Griechenland seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, wäre der nächste Schritt der EU, Griechenlands politische Souveränität zu übernehmen, sein Budget zu erstellen, über seine Steuern und Ausgaben zu entscheiden, und aus diesem Prozess genug von den Griechen herauszupressen, um EZB und IWF das Geld zurückzuzahlen, dass sie Griechenland geliehen haben, um die privaten Banken zu bezahlen.
Anders gesagt, Europa unter der EU und Jean-Claude Trichet ist eine Rückkehr in die extremste Form des Feudalismus, in der eine Handvoll von Reichen auf Kosten aller anderen gehätschelt werden.
Das ist Wirtschaftspolitik im Westen geworden – ein Werkzeug der Reichen, das diese benutzen, um sich selbst zu bereichern, indem sie unter dem Rest der Bevölkerung Armut verbreiten.«
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[1] Rede Schäubles vor der EBC Frankfurt am 18. November 2011
bei 18:57 zur EU und €, nationalstaatliche und Euro-Finanzpolitik
bei 21:04 zur Souveränität der Nationalstaaten und speziell Deutschlands
bei 25:40 zur EU-Fiskalunion
bei 34:04 zur Moral, Eliten, Märkten, Verantwortung und Demokratie
[2] Einige besorgniserregende ‘Besonderheiten’ des ESM kurz erklärt. Autor des Films ist die vom Institut für strategische Studien, Berlin getragene Website Abgeordneten-Check.de, die sich ‘bürgernah’ gibt und mit dem zur Politik konvertierten ehemaligen Industriellenführer Hans-Olaf Henkel genauso schmückt wie mit dem Bund der Steuerzahler.