Anhörung der Petition zum Grundeinkommen mit Susanne Wiest

“Denn es ist ja eine Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung sich lohnen würde.” Hannah Arendt

“Die Gleichbehandlung sei ungerecht”, “die Auswirkungen auf die Arbeitsanreize wären problematisch” – FDP und CDU kommentierten das Ansinnen der Petition von Susanne Wiest, das Grundeinkommen einzuführen, gewohnt unkundig in der Sache. Vor dem Hintergrund, dass beide Parteien sich mit eigenen Entwürfen zur Umgestaltung des Sozialstaats befassen, ist die bestenfalls aus mangelnder Vorbereitung resultierende Unkenntnis einmal mehr befremdlich …und lässt ahnen, dass die Ablehnung eher auf Ressentiments, denn auf begründeten Argumenten fusst.

Der Vorschlag wurde hingegen von Abgeordnete der Grünen und der Linken begrüßt, wie auch die Linke die Initiative zu einer Suche nach neuen “systemverändernden” Ansätzen besonders hervor hob.
Der hohe Zuspruch der Bevölkerung zu der Petition deute auf eine “lebendige Demokratie”, gab sich auch die SPD, trotz ihrer Aussenseiterposition in dieser Thematik, den schlechten Umfragewerten entsprechend eher volksnah.

Freiheitliches Aufbäumen hingegen bei den Liberalen. Von Seiten der FDP war zu vernehmen, ob es denn nicht eine Ungerechtigkeit sei, die diese Gleichheit [in der Auszahlung des Grundeinkommens an jede/n Bürger/in] nach sich zöge.
Das Grundeinkommen des Herrn Ackermann für den reflexhaften Sozialneid von “unten” gegenüber den Vorstandsetagen als Scharfmacher einzusetzen und dabei Gleichheit als Ungerechtigkeit zu verdrehen, belegt, wie dringend diese Klientelpartei von der notwendigen Abschaffung der Zwänge und Bedarfsprüfungen bei Hartz-5€ ablenken muss, um “den sozialen Frieden im Lande” zugunsten der Profite zu bewahren. Es stimmt: Der Beispielhafte Herr Ackermann würde zwar einerseits aus Gründen der Gleichbehandlung aller auch ein Grundeinkommen erhalten, andererseits durch Belastungen aber ein vielfaches zur Finanzierung desselben beitragen. Da wäre es wieder, das Solidarprinzip, um dessentwillen sich die FDP so heftig für die soziale Gerechtigkeit einzusetzen scheint – nur eben ergänzt um die Abschaffung menschenverachtender, gesellschaftlicher Zwänge. Man sollte meinen, das würde die individuelle Freiheit fördern. Stattdessen aber fordert es eher die Wortverdreher und Bedeutungsverstümmeler von der FDP.

Ebenso um Verstümmelung der Idee bemüht gab sich auch die andere Regierungspartei: Die mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens verbundene „völlige Umstrukturierung des Steuer-, Transfer- und Sozialversicherungssystems“ hält die Bundesregierung, laut ihrer website, für falsch. Der Sozialstaat, so der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Dr. Ralf Brauksiepe (CDU), habe sich auch in der Krise bewährt. Zudem sei bei der Bereitstellung eines bedingungslosen Grundeinkommens mit “problematischen Auswirkungen auf die Arbeitsanreize” zu rechnen… und das liesse ja schliesslich auch die Finanzierung eines Grundeinkommen als äusserst unsicher erscheinen, war der Tenor des Rundumschlags seitens der Regierung.

Trotz derartiger professioneller Ignoranz ist es Susanne Wiest gelungen, das Thema der sozialen Teilhabe wiederholtan den Paradigmenwechsel der Bedingungslosigkeit zu knüpfen.
Das ein Grundeinkommen auch bezahlbar ist, wenn es politisch gewünscht wäre, ist im Rückbezug auf die Rettung der Finanzwirtschaft ohnehin kaum widerlegbar. Auch weil es sich beim vorgebrachten Einwand fehlender und falscher Anreize um Bedenken ganz anders motivierter Art zu handeln scheint, wird einmal mehr deutlich: solange das Lohnkonzept aus Zeiten des Mangels Einkommen gegen Zwang zur Unterwerfung unter das Erwerbsarbeitsprinzip, heute – trotz übermässiger Produktivität und obszönem Überfluss bei gleichzeitiger Massenerwerbslosigkeit, hochgehalten wird, ist solchen Glaubenssätzen wegen ihrer Irrationalität mit Argumenten kaum beizukommen. Dass dabei besonders auch die Benachteiligten dieser autoritären Lohnlogik mit dem Ruf nach einem Recht auf Arbeit die selbstgewählte Unterwerfung als allgemeinen Zwang auf die erwerbslosen Mitmenschen übertragen wollen, belegt wie gleichsam starr und realitätsfern sie sich zum sich verändernden Gefüge von Produktivität, Arbeit und Einkommen verhalten. Und wie verfestigt und selbsterhaltend diese Denkweisen sind.
Susanne Wiest, als eine, die das Grundeinkommen denken kann, sah jedenfalls keinen Sinn darin, unter heutigen Bedingungen an den Arbeits”markt” herangeführt zu werden.
Ihre Antwort lautete schlicht: “Ich kann laufen.” … und wir wissen nun, das auch wohlmeinende Arbeitsanreize oder hinterlistig geschenkte Flugreisen ihre Sichtweise nicht ändern werden.

Es ist sicherlich als Erfolg zu werten, dass es Susanne Wiest gelungen ist, dem Thema ein engagiertes, menschliches und symphatisches Gesicht zu geben und der Petitionsanhörung eine erhöhte Aufmerksamkeit zu bescheren. Frenetisch jubelnd hatten ihr die Zuhörer im Anschluss an die erste öffentlich übertragenen Petition für die klare und warmherzige Darstellung und ihre direkten und mutigen Reaktion auf die Fragen der Ausschussmitglieder gedankt.
Die durchweg erfrischende Art von Susanne Wiest hätte aber auch die Chance auf Erwiderungen in der Sprache der Politiker nicht ausgeschlossen. Bei einem möglichen Vorlauf von eineinhalb Jahren, wäre durch Nennung von Ergebnissen aus den zahlreichen Studien zu diversen Aspekten des Bedingungslosen Grundeinkommen, wie auch durch detailliertere Hinweise zu den unterschiedlichen Modellen, ein höherer Punktgewinn der Aussenseiterin im Bundestag möglich gewesen.

Wie der Ausschuss weiter vorgehen wird bleibt abzuwarten. Eine sogenannte Überweisung zur Berücksichtigung durch die Bundesregierung ist durch die Stimmverteilung im Ausschuss nicht wahrscheinlich.
Fest steht derzeit nur, dass Bürger und Politiker nicht immer die gleiche Sprache sprechen… und manche sogar in unterschiedlichen Ländern zu wohnen scheinen.

Die Videodokumentation der öffentlichen Beratung des Petitionsausschusses kann hier gesehen werden.
• Im Anschluß an die Anhörung aufgezeichnetes Interview mit Susanne Wiest und weiteren Zuschauern.
• Susanne Wiest vor der Petitionsanhörung im Interview.
• Artikel, Blogs, Archiv auf TAZ.de zum Grundeinkommen.
• Artikel, Blogs, Archiv auf Freitag.de zum Grundeinkommen.

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